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Stellungnahme des Verlags

Der Alibri Verlag wehrt sich gegen die drohende Indizierung des Buches „Wo bitte geht’s zu Gott“, fragte das kleine Ferkel und insbesondere gegen den Vorwurf, es enthalte rassistische und  antisemitische Tendenzen. „Durch diesen Vorwurf, soll eine Debatte darüber unterbunden werden, worum es in dem Buch eigentlich geht: nämlich um die Frage, welchen Stellenwert Religion in der Kindererziehung einnehmen soll“, sagte Verlagsleiter Gunnar Schedel.
Das Bundesfamilienministerium hat beantragt, das im Oktober 2007 im Alibri Verlag erschienene Kinderbuch von Michael Schmidt-Salomon (Text) und Helge Nyncke (Illustration) auf die Liste der jugendgefährdenden Medien zu nehmen. Eine erste Entscheidung fällt am 6. März vor der Bundesprüfstelle.

Aus diesem Anlaß und als Reaktion auf eine überbordende Debatte bezieht das Verlagskollektiv im Folgenden zu einigen zentralen Fragen Stellung. Weitere Informationen können wir auf Nachfrage gerne nachreichen.

In unseren Augen ist der durch das Familienministerium vorgebrachte Vorwurf vorgeschoben. Daß nach Informationen des Bistums Rottenburg-Stuttgart ausgerechnet der Tübinger Religions­pädagoge Albert Biesinger – Autor eines Buches mit dem Titel Bündnis für Erziehung, in dem auch  Ministerin von der Leyen mit einem Beitrag vertreten ist – den Indizierungsantrag veranlaßt haben soll, spricht insofern Bände. Bewußt spekulierte das Haus von der Leyen darauf, daß über ein Buch, dem der Geruch anhängt, es enthalte antisemitische Tendenzen, niemand diskutieren will. Worum es in dem Buch tatsächlich geht, macht eine Stellungnahme des Generalsekretärs des Zentralrats der Juden, Stephan J. Kramer, deutlich: „Der Meinung, das Buch sei antisemitisch, kann man so nicht folgen, da es gleichermaßen alle drei großen monotheistischen Religionen verleumdet. Es ist einfach Antireligion, Anti-G’ttes-Glaube und alles, was sich daraus ergibt.“ (http://www.zentralratdjuden.de/de/article/1536.html)
In dieser von Herrn Kramer korrekt benannten grundsätzlichen ablehnenden Haltung der Religion gegenüber sehen wir den eigentlichen Grund, warum das Familienministerium das Buch von Kindern fernhalten möchte. Mit seinem Plädoyer, die Aussagen der Religionen kritisch zu hinterfragen und lieber mal davon auszugehen, daß „Gott“ wohl eher eine Märchenfigur ist, steht es quer zu den Plänen der Ministerin, christlichen Werten bei der Kindererziehung mehr Gewicht zu geben („Bündnis für Erziehung“). Daß die Vertreter der verschiedenen Religionsgemeinschaften die Indizierung des Buches aus genau diesem Grund gefordert haben, bestärkt uns in dieser Einschätzung. Daß der Antisemitismus-Vorwurf fortgesetzt vor allem aus den Reihen der beiden großen christlichen Kirchen vorgebracht wird, sehen wir als Kampagne, die darauf abzielt, die eigentliche Debatte über Risiken und Nebenwirkungen religiöser Erziehung zu verhindern.


zum Vorwurf des Antisemitismus und Rassismus
Die Religionskritik ist nicht zuletzt „Voraussetzung aller Kritik“, weil sie auf die Emanzipation des Individuums zielt. Der einzelne Mensch soll in die Lage versetzt werden, sich von falschen Vorstellungen, zu denen er sich bislang bekannt hat, zu lösen. Die Abkehr vom religiösen Kollektiv eröffnet die Möglichkeit, seine Identität nun selbstbestimmt zu definieren. (Daß dies alles innerhalb eines bestimmten, von den ökonomischen Verhältnissen geprägten Rahmen abläuft, Selbstbestimmung somit nicht völlig voraussetzungslos stattfindet, ist uns bewußt, spielt aber für die hier behandelte Frage keine zentrale Rolle.)
Antisemitismus und Rassismus gehen von einer völlig anderen Grundlage aus: der Mensch wird einem konstruierten Kollektiv (z.B. „Volk“) fest zugeordnet. Nicht durch ein Bekenntnis, sondern durch „Wesen“ oder „Blut“ sei der Einzelne mit der Gemeinschaft verbunden. Sie zu verlassen wird als unmöglich angesehen, es steht nicht im Belieben des Individuums, in dieser Frage über sich selbst zu verfügen.
Insofern können sich Antisemitismus und Rassismus zwar religionskritisch maskieren, sie lassen sich jedoch leicht enttarnen, wenn die Frage nach der Stellung des Individuums gestellt wird. Denn diese Form vermeintlicher „Religionskritik“ kritisiert nicht die Aussagen einer Religion, mit dem Ziel, dem Einzelnen (oder der Einzelnen) einen emanzipatorischen Anstoß zu geben; die Perspektive geht vielmehr vom Kollektiv aus: Religionen werden als nicht „artgerecht“ für bestimmte „Völker“ angesehen (so die deutsch-völkische Kritik am „Judäo-Christentum“) oder Migranten werden kollektiv die Eigenschaften der in ihren Herkunftsländern vorherrschenden Religion zugeschrieben (so kann Kritik am Islam rassistisch aufgeladen sein, wenn „die Muslime“ tatsächlich „die Araber“ o.ä. meint, also unabhängig davon verwendet wird, ob sich die betreffenden Personen zum Islam bekennen und nach dessen Regeln verhalten oder nicht).
Das Ferkelbuch steht nach unserer Auffassung in der Tradition der emanzipatorischen Religionskritik. Es fordert Kinder dazu auf, Heilsangeboten gegenüber kritisch nachzufragen, und bestärkt Kinder, die ohne Religion aufgewachsen sind, in ihrem Selbstbewußtsein, nicht weniger wert zu sein als Kinder „mit Gott“. Religion wird als Einstellung („Bekenntnis“) beschrieben, nicht als Wesenszug eines Menschen bzw. ganzer Kollektive. Das letzte Bild im Kinderbuch vermittelt, nach unserer Einschätzung unmißverständlich, die Idee, daß alle Menschen grundsätzlich gleich sind. Dort stehen auch die Vertreter der Religionen – ihrer Insignien weitgehend entkleidet –, eingereiht in die Menschheit. Daß sie dort stehen, verdutzt eher sie als die anderen, die sie offenbar freundlich aufgenommen haben; es kann keine Rede davon sein, daß sie „dämonisiert“ werden. Voraussetzung dafür ist freilich, daß die Vertreter der Religionen sich als Gleiche unter Gleichen ansehen und auf den Anspruch verzichten, über eine höhere Moral zu verfügen, die sie anderen ggfs. auch überstülpen dürfen.
Von einer „Hetze gegen Juden“ (so u.a. der Religionspädagoge Albert Biesinger in einem KNA-Interview, http://www.domradio.com/default.asp?ID=38212) kann auch deshalb bei einer fairen Beurteilung von „Wo bitte geht’s zu Gott“, fragte das kleine Ferkel nicht gesprochen werden, weil im Buch „die Juden“ als Gruppe überhaupt nicht vorkommen. Dargestellt wird lediglich eine von einem (ultra)orthodoxen Rabbi vorgetragene religiöse Position – zu der sich ein Mensch bekennen kann oder eben nicht. Der Rabbi glaubt offensichtlich an Wahrheit und Wert seiner Aussage; Ferkel und Igel hingegen sind nicht überzeugt und erfreuen sich an der Vorstellung, daß die Menschen sich Götter wohl nur einbilden. Daß der Rabbi darüber in Rage gerät, halten wir für eine nachvollziehbare, durchschnittliche menschliche Reaktion (die er übrigens mit seinen beiden Kollegen teilt), die den Mann in keiner Weise umfassend disqualifiziert oder stigmatisiert und schon gar nicht „die Juden“. Wer solches behauptet, sollte begründen können, warum er (oder sie) zu dieser Einschätzung kommt. Was dazu in der Begründung zum Indizierungsantrag steht, überzeugt uns ebensowenig wie die Ausführungen kirchlicher Funktionäre.
An dieser Stelle erlauben wir uns den Hinweis, daß die Anerkennung der Juden als gleichwertige Bürger in Europa untrennbar mit der Kritik der Deutungshoheit des Christentums verbunden ist. Der Abbau der Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung war nicht Ergebnis eines „interreligiösen Dialogs“, sondern eine Folge der Säkularisierung.

zur Auswahl der Sintflut-Erzählung
Auch in der Auswahl der Erzählung von der Sintflut können wir kein antijudaistisches Vorurteil erkennen. Denn die Geschichte von der Arche Noah begegnet Kindern in Deutschland in der Regel als Teil der Bibel, die von beiden christlichen Kirchen „in ihrer Ganzheit mit allen ihren Teilen als heilig und kanonisch“ angesehen wird (2. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung, 1965). Folglich wird sie nach unserer Einschätzung von ihnen nicht als Teil der jüdischen, sondern der christlichen Überlieferung wahrgenommen; die meisten Kinder dürften die Geschichte längst kennen, bevor sie „Wo bitte geht’s zu Gott“, fragte das kleine Ferkel in die Finger kriegen.
Der Vorwurf, Kindern werde mit dieser Passage Angst eingeflößt, erscheint uns ebenfalls nicht stichhaltig. Ferkel und Igel – durch deren Perspektive Kinder die Geschichte wohl rezipieren werden – reagieren nur kurz erschrocken und erbost; schnell kommen sie darauf, daß die Menschen sich Gott vielleicht nur einbilden und damit auch die „Sintflut“ nie stattgefunden hat. Das ent­sprechende Bild zeigt, wie sie die beiden selbst als Götter halluzinieren, und dabei sehen sie eher amüsiert als verängstigt aus.

zum Vorwurf, Religion werde lächerlich gemacht
Der Vorwurf, Religion werde im Ferkelbuch lächerlich gemacht, geht schon deshalb fehl, weil in Deutschland die Mehrzahl der Menschen, ja sogar der Kirchenmitglieder, die zentralen Aussagen der etablierten Religionen längst nicht mehr ernst nimmt. Selbst an einen persönlichen Gott, die Grundlage des christlichen Glaubens, glauben nur noch 36% der Mitglieder in der katholischen Kirche und 23% der Mitglieder in einer evangelischen Kirche (ohne Freikirchen, Zahlen: ALLBUS 2002). An die Auferstehung von den Toten glauben noch 41% der Katholiken, an ein Leben nach dem Tod noch 56% (bei den Unter-30-Jährigen sinken die Werte auf 27% bzw. 50%; Zahlen: Allensbach Archiv, IfD-Umfrage 4263). Usw. Insofern haben die Menschen längst selbst erkannt, daß viele Aussagen der etablierten Religionen lächerlich sind und eine stille Abkehr von diesen Aussagen vollzogen. Dazu bedurfte es nicht des Ferkelbuches.
Das Buch macht Religion also nicht lächerlich, es macht sich lustig über Religionen, die aus über 1500 Jahre alten Texten ihre moralischen Vorstellungen und teilweise sogar Handlungsanweisungen fürs alltägliche Leben ableiten wollen. Dies halten wir im Wettstreit der Ideen für legitim. Warum es für die Entwicklung eines Kindes abträglich sein sollte, über jemanden, der sich als Autorität aufspielt, zu lachen, wenn es diesen bei einem Denkfehler ertappt, können wir nicht sehen.

zum Vorwurf „Haßbuch“
Diesen Vorwurf weisen wir als reine Projektion zurück. An keiner Stelle des Buches reagieren die beiden Protagonisten mit Haß auf die Vertreter der Religion. Sie machen sich lustig über deren Auffassungen und am Ende nehmen Ferkel & Igel sie nicht mehr ernst. Inwiefern die Ablehnung, sich widerspruchslos missionieren zu lassen, „Haß“ sein soll, ist für uns nicht nachvollziehbar.
Wir denken, andersherum wird eine Wahrheit daraus: immer wieder reagieren Religionsvertreter mit Haß, wenn ihre Missionsbemühungen scheitern oder wenn Ungläubige oder Andersgläubige selbstbewußt ihren Standpunkt argumentativ verteidigen. Historisch gesehen ist Luther in seinem Verhältnis zu den Juden ein anschauliches Beispiel, aktuell empfehlen wir die Lektüre von Predigten von Joachim Kardinal Meisner.

zum Vorwurf der Intoleranz
„Intoleranz“ bedeutet nach dem Duden Fremdwörterbuch „Unduldsamkeit (gegenüber einer anderen Meinung, Haltung, Weltanschauung)“. Die beiden Protagonisten des Kinderbuches verhalten sich aber überhaupt nicht unduldsam gegenüber anderen Weltanschauungen. Sie möchten sie allerdings auch nicht übernehmen. Ihre Reaktion auf die Begegnungen mit den Religionen ist eine geradezu vorbildlich tolerante: nachdem sie erkannt haben, daß die Angebote für sie nicht in Frage kommen und eine Diskussion über diese Fragen mit gewissen Hindernissen beladen erscheint, beschließen sie, daß es wohl am besten sei, getrennte Wege zu gehen. Die beiden bleiben in ihrer „Welt“ (in gesellschaftliche Termini übersetzt vielleicht „Milieu“), die Religionen bleiben auf ihrem „Tempelberg“. Warum liegt hier Intoleranz vor?
Toleranz kann nicht die Verpflichtung bedeuten, für religiösen Mission offen zu sein, noch ist es intolerant, Angebote kritisch zu hinterfragen. In Deutschland heißt „Toleranz“ für Konfessionslose zwar, daß sie in vielen Bundesländern im Kindesalter in einen zwangsweisen Ethikunterricht gesteckt werden (also von staatlicher Seite als ethisch minderbemittelt angesehen werden), daß sie in einigen Regionen der Republik im sozialen Bereich keinen Arbeitsplatz finden (weil die Einrichtungen in kirchlicher Trägerschaft betrieben werden und dort das Arbeitsrecht nicht gilt) usw. Aber daß dieser Zustand ein Vorbild an Toleranz sei, bestreiten wir.


zu den Abbildungen
Die heftigste Kritik richtete sich gegen die Illustrationen. Vor allem wiederum von kichlicher Seite wurde behauptet bzw. suggeriert, daß die Darstellung des Rabbis der Darstellung der Juden in der NS-Zeitschrift Der Stürmer gleiche. Dies weisen wir als Verleumdung und Funktionalisierung des Antisemitismusvorwurfs zurück. Der Zeichner Helge Nyncke hat sich in einer ausführlichen Stellungnahme detailliert dazu geäußert und aufgezeigt, daß die Figur des Rabbis in allen wesentlichen Merkmalen ganz bewußt anders angelegt ist als die Zerrbilder in den NS-Blättern. Was an „Stereotypen“ bleibt, sind Kleidung und Haartracht – die beide wohl kaum zu den „Wesensmerkmalen“ eines Menschen gezählt werden können.
Andererseits haben uns einige sachliche Zuschriften erreicht, die bemängelten, daß die Religions­vertreter zu stark negativ überzeichnet seien. Dies haben wir während der Arbeit am Buch so nicht gesehen; trotzdem nehmen wir den Hinweis auf.

 

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