Immer noch wird behauptet, dass das „christliche Abendland“ und seine Werte sich letztlich aus Jesus und seiner Verkündigung herleiten. Der Apostel Paulus wird dabei als der getreue Übermittler der Botschaft Jesu gesehen. Heinz-Werner Kubitza zeigt hingegen, dass Paulus sogar zentrale Lehren Jesu einfach unterschlägt.
Die neutestamentliche Forschung hat längst erkannt, dass sich die Verkündigung Jesu und die Lehren des Paulus massiv unterscheiden. Was abendländisches Gemeingut geworden ist – die Vergöttlichung des frommen Juden und Menschen Jesus, seine Heilstat am Kreuz, die radikale Sündhaftigkeit des Menschen: all das entstammt im Wesentlichen der Lehre des Paulus. Auch den christlichen Antijudaismus, die Forderung nach Unterwerfung unter eine „gottgegebene Obrigkeit“ und die Unterordnung der Frau gehen auf Paulus zurück. Das „christliche Abendland“ gründet sich nur vordergründig auf Jesus. Paulus hat die entscheidenden Weichen gestellt.