Die meisten von uns meinen noch genau zu wissen, wo sie waren und was sie gerade taten, als sie von 9/11, vom Tod John F. Kennedys oder Lady Dianas erfuhren. Selten entsprechen diese „Blitzlichterinnerungen“ an Schockmomente jedoch der Wahrheit. Sie haben sich erst mit der Zeit geformt. In seinem Buch spürt Douwe Draaisma, Professor für Psychologiegeschichte und Gedächtnisforscher, den Tricks und Fallen nach, mit denen wir uns selbst täuschen. Denn, so Draaisma, was in der Jugend geschah, ist häufig das Ergebnis dessen, wie das spätere Leben verlaufen ist. Erinnerungen werden durch spätere Ereignisse um- und überschrieben. Jemand, der erfährt, dass er ein Kuckuckskind ist, beginnt, seine Familie in völlig neuem Licht zu sehen. Dieselben Ereignisse der Vergangenheit erhalten plötzlich eine andere Bedeutung. Lange Vergessenes taucht wie aus dem Nichts auf und fügt sich zu einem neuen Bild. Erinnerungen sind höchstens Versionen der Vergangenheit und können folglich nur „halbe Wahrheiten“ sein. Mit Blick auf eine „Vergessenspille“, wie sie beispielsweise in der Traumatherapie erforscht wird, fragt der Autor auch nach der Rolle der Erinnerung für unsere Identität. Angenommen, unsere Erinnerungen sind identitätsstiftend: Was geschieht, wenn sich diese Erinnerungen verändern oder sogar vergessen werden?