Bereits häufiger ist der Islamismus als Spielart des Faschismus bezeichnet worden. Der in Ägypten geborene und seit langem in Deutschland lebende Politologe Hamed Abdel-Samad knüpft an diese Perspektive an und arbeitet in seinem neuen Buch die Aspekte eines islamischen Faschismus heraus. Dabei nimmt er zunächst die von Umberto Eco formulierten vierzehn Merkmale des Ur-Faschismus auf und verdeutlicht, dass diese (Unantastbarkeit der Überlieferung, Ablehnung von Kritik, Angst vor dem Fremden usw.) sämtlich auf den Islamismus zutreffen. Anschließend wendet er sich konkreten Gruppierungen (vor allem der Muslimbruderschaft) zu und analysiert deren Politik. Durch Rückblicke wird klar, wie eng die Entstehung des Islamismus historisch mit dem Aufstieg des europäischen Faschismus verbunden ist und an welche islamischen Traditionen dieses Denken anschließen kann.
Um ein „rundes“ Bild abzuliefern, verfolgt Abdel-Samad einige Nebenpfade, befasst sich mit dem Verhältnis der islamischen Kultur zu Medien, mit der Idee des Paradieses als „Pornotopia“ (Stichwort: 72 Jungfrauen) und der Entwicklung in Iran seit dem Sturz des Schahs. Unterm Strich fällt seine Einschätzung eher pessimistisch aus. Die arabischen Staaten, die er als „Diktatur-Zwiebel“ (S. 27), also eine aus mehreren Schichten bestehende Diktatur, beschreibt, böten weniger Anknüpfungspunkte für eine gesellschaftliche Modernisierung als für islamistische Rückschritte. Allerdings haben die Gesellschaften im Zuge des „arabischen Frühlings“ einen Politisierungsschub erfahren und auch viele Muslime sehen Säkularisierung heute als Option. Im Buch zeugen fünf Interviews mit „Atheisten aus der islamischen Welt“ davon, dass die Unantastbarkeit der Religion auch dort bald der Vergangenheit angehören könnte.
Abdel-Samads Abrechnung mit dem Islamismus ist eine lohnenswerte Streitschrift. Dass manche historische Einschätzung (z.B. der Bolschewiki als „antiurban“) Widerspruch provoziert und nicht jeder Gewährsmann (z.B. Francis Fukuyama) allgemeine Anerkennung beanspruchen darf, schmälert den Wert der Lektüre nicht. Dass auf soziologischer Ebene die Analyse hinter den Schriften Gilles Kepels zurückbleibt, ließe sich in einer erweiterten Auflage beheben. Wer über die Frage, ob der Islamismus ein Ableger des Faschismus ist oder nicht, mitdiskutieren will, muss jedoch nicht auf die Taschenbuchausgabe warten; Abdel-Samads Buch bietet eine brauchbare Orientierung und zahlreiche Argumente, die Frage zu bejahen.
G. Reinsdorf