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Leistungsbilanz statt Wahlprüfsteine

02 Sep, 2017 | Return|

Gestern wurde MIZ 2/17 ausgeliefert, deren Schwerpunkt sich anlässlich der bevorstehenden Bundestagswahl mit den Positionen der Parteien das Verhältnis von Staat und Religionsgesellschaften befasst. Da ein Artikel von Gerhard Rampp über eine Untersuchung der Wahlprogramme durch die Säkularen Liberalen nur in einer stark gekürzten Fassung aufgenommen werden konnte, veröffentlichen wir hier den vollständigen Text.

Wahlprüfsteine? Leistungsbilanz!
Von Gerhard Rampp

In den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts kamen zuerst Naturschutzverbände und dann auch andere auf die Idee, vor Wahlen allen Kandidierenden programmatische Fragen zu „ihrem“ Themengebiet zu stellen und diese dann zu „Wahlprüfsteinen“ zu erheben. Die Parteien und ihre persönlichen Aushängeschilder vor Ort haben sich inzwischen aber darauf eingestellt und informieren sich zunächst über die befragenden Organisationen, um dann genau das zu antworten, was diese gern hören wollen. Genau genommen sind also auch Wahlprüfsteine nur Versprechen auf jeweils einem speziellen Gebiet. Hauptsache, die Wählenden sind mit der Antwort zufrieden und machen an der richtigen Stelle ihr Kreuzchen.
Selbst der Einwand, immerhin lernten die so Angeschriebenen auf diese Weise die meist kleinen und unbekannten Grüppchen der Fragesteller besser kennen, zieht nicht. Denn die Befragten kommen im Wahlkampf mit Hunderten von Organisationen in Kontakt, sodass die einzelne in der Wahrnehmung völlig untergeht. Hinzu kommt der enorme zeitliche und finanzielle Aufwand bei der Auswertung, der in keinem Verhältnis zum Ertrag steht.
Fazit: Wahlprüfsteine sind out. Aber wie sollen wir Parteien oder die kandidierenden Personen dann vergleichen und bewerten? Dafür empfiehlt sich, das Abstimmverhalten im Parlament zu bestimmten Fragen zu Rate zu ziehen. Für Säkulare kommt da insbesondere die Bundestagsabstimmung im November 2015 zur Neufassung des § 217 StGB in Betracht, dem sog. „Sterbehilfe-Verhinderungsgesetz“. Dem stimmten rund 95 % der CDU/CSU-Abgeordneten zu, aber auch 30 % der SPDler, 25 % der Grünen und knapp 20 % der Linken. Wenn dann in Augsburg-Stadt neben dem CSU-Mann auch Ulrike Bahr (SPD) und die grüne Claudia Roth für jenes von den Kirchen propagierte Gesetz stimmten, kann man sich als konfessionsfreier Mensch jede weitere Diskussion mit diesen Personen sparen. Der Besuch der Rubrik Abgeordnetenwatch ist allemal wichtiger als persönliche Nachfragen.

Bundestagswahlprogramme im Säkularitäts-Vergleich
Eine interessante Zwischenlösung präsentierten nun die säkularen Liberalen, die eine fast fehlerfreie Analyse der Wahlprogramme aller sechs voraussichtlich in den Bundestag einziehenden Parteien anfertigten und bemerkenswert objektiv bewerteten. Dabei zeigte sich: Die Säkularen aller Parteien gehen recht freundlich miteinander um, denn sie stehen sich näher als vielen in der eigenen Partei. Im Folgenden sind Analysen und Bewertungen leicht gekürzt, kleine Korrekturen des Autors stehen in eckigen Klammern. Die Zahlen sind Seitenangaben im jeweiligen Wahlprogramm.

FDP
Seite 43 im FDP-Bundestagswahlprogramm beschäftigt sich mit dem Thema. Die Forderungen lauten:
– Ein generelles Verschleierungsverbot lehnt die FDP ab
– Die FDP lehnt die „Einflussnahme aus dem Ausland durch die Finanzierung religiöser Vereine und Einrichtungen ab, wie zum Beispiel durch die Türkei und Saudi-Arabien in Bezug auf bestimmte Moscheegemeinden“
Das war es leider auch schon. Im FDP-Grundsatzprogramm steht etwas von größtmöglicher Trennung. Wir können das im Bundestagswahlprogramm leider nicht wieder finden. Zudem ist fraglich, ob der FDP die Tragweite des zweiten Punktes bekannt ist. Viele auch christliche Gemeinschaften werden aus dem Ausland mit finanziert. Die FDP hat sich in unseren Augen leider nur einen von fünf Säkularitätspunkten geholt.

Die Linke
– Die Linkspartei tritt für „die institutionelle Trennung von Staat und Kirche ein“ (S. 132)
– Das Verschleierungsverbot lehnt die Linkspartei ab
– Die Kirchen sollen in ihren Kampf für den arbeitsfreien Sonntag unterstützt werden (S. 133)
– Mitarbeiter von kirchlichen Organisationen sollen im Arbeitsrecht gleichgestellt werden und nicht weiter diskriminiert werden dürfen. (S. 133)
– Der Kirchenaustritt soll kostenfrei werden.
– Es soll ein allgemeiner Ethikunterricht für alle Schüler eingeführt werden. Der Bekenntnisunterricht bleibt als Wahlfach erhalten. (S. 133)
– Die staatliche Militärseelsorge soll durch einen Vertrag zur religiösen Betreuung ersetzt werden und die staatliche Finanzierung fällt weg. (S. 133)
– Jüdische und muslimische Feiertage sollen anerkannt und geschützt werden (S. 133)
– Die Staatskirchenverträge sollen abgelöst werden. (S. 133) [Dieser Satz wurde auf dem Bundesparteitag leider wieder gestrichen.]
– Der Staat soll keine Beiträge der Kirche mehr einziehen. (S. 133)
Das ist bisher die am meisten konkrete und längste Positionierung zur Religionspolitik. Viele Punkte, wie den kostenfreien Kirchenaustritt, den Ethikunterricht, die Gleichstellung im Arbeitsrecht und die Ablösung der Staatskirchenverträge können wir vollkommen unterstützen. Es ist jedoch widersprüchlich, dass dann wiederum andere Privilegien von Religionen gestärkt werden sollen. Warum brauchen wir noch mehr Bekenntnisfeiertage? Und warum soll die Kirche bei ihrem Einsatz gegen die Sonntagsarbeitszeit unterstützt werden, wenn man doch eine institutionelle Trennung von Staat und Kirche erreichen möchte? Trotz der Widersprüche bekommt die Linkspartei drei Säkularitätspunkte. Die FDP muss an dieser Stelle leider von den Linken lernen. [Meines Erachtens eine sehr freundliche Bewertung; 2,5 Punkte erscheinen angemessen.]

CDU
– Die CDU will einen Sonderbeauftragten einsetzen, der sich weltweit für Religionsfreiheit einsetzt. Besonders wichtig sei dabei „der Einsatz für Millionen Christen, die in anderen Ländern wegen ihres Glaubens bedrängt und verfolgt werden“. (S. 73)
– Das Lutherjahr habe der CDU gezeigt, wie sehr die Kultur in Deutschland mit Religion verbunden sei. Daher wird die CDU „künftig die Arbeit der Kirchen in vielfältiger Weise unterstützen“.
– Die Zusammenarbeit mit dem integrationsbereiten Islam in Deutschland soll auf dem Boden des Grundgesetzes so organisiert werden, dass er Verhandlungs- und Dialogpartner von Staat und Gesellschaft sein kann. (S. 73)
– Politische Einflüsse über Religionsgruppen werden abgelehnt.
Überraschend ist das nicht: Nichtgläubige finden überhaupt keine Erwähnung im CDU-Programm und sollen weltweit vom Beauftragten für Religionsfreiheit offenbar auch nicht geschützt werden. Nur Christen finden Erwähnung beim weltweiten Schutzauftrag. Kultur wird religiös verbunden. Die beiden großen Kirchen sollen gegebenenfalls noch mehr finanziell unterstützt werden. Hier vergeben wir sogar keinen einzigen Säkularitätspunkt.

SPD
– Die SPD möchte „den islamischen Religionsunterricht an staatlichen Schulen und in deutscher Sprache auch aus präventiven Gründen“.
– Islamische Religionslehrer sollen an deutschen Lehrstühlen ausgebildet werden. (S. 38)
– Die SPD will gleichzeitig einen Ethikunterricht für alle Schüler ermöglichen, um über Religionen zu lehren. (S. 49)
– Muslimische Gemeinschaften sollen auch den Körperschaftsstatus des öffentlichen Rechts bekommen können. (S. 50)
Die SPD möchte also die bestehenden Privilegien der Kirchen auf muslimische Gemeinschaften ausweiten. Zudem hat sie ein katastrophales Verständnis von Ethik, da sie darin nur eine Religionskunde und keinen Philosophieunterricht über Moral sieht. Insgesamt ist auch dieses Programm in keiner Weise säkular und verdient somit ebenfalls nur einen von fünf Säkularitätspunkten.

AfD
– „Das Minarett lehnt die AfD als islamisches Herrschaftszeichen ebenso ab wie den Muezzin-Ruf, nach dem es außer dem islamischen Allah keinen Gott gibt. Es handelt sich hierbei um religiösen Imperialismus.“ (S. 35)
– „Die Predigten in Moscheen in Deutschland sollen in deutscher Sprache gehalten werden.“ (S. 35)
– „Die islamtheologischen Lehrstühle an deutschen Universitäten sind abzuschaffen und die Stellen der bekenntnisneutralen Islamwissenschaft zu übertragen.“ (S. 35)
– „Die AfD lehnt es ab, islamischen Organisationen den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zu verleihen […]“. (S. 35)
– „Die AfD fordert ein allgemeines Verbot der Vollverschleierung in der Öffentlichkeit und im öffentlichen Dienst.“ (S. 35)
– Die Trauung durch Imame soll staatlich nicht mehr anerkannt werden dürfen. (S. 35)
– Es soll keinen Islamunterricht an Schulen geben.
– Die Bezahlung von Kirchenrepräsentanten wie Bischöfen etc. aus allgemeinen Steuermitteln möchte die AfD aufheben. (S. 50)
Ein konsequent islamophobes Programm. Dem Islam wird ein grundsätzlicher Konflikt mit dem Grundgesetz vorgeworfen und entsprechend wird seitenlang ausgeführt, wie man ihn gesetzlich bändigen müsse. Es wird ausgeführt, welche Privilegien muslimischen Gemeinschaften nicht zugestanden werden dürfen und entsprechend ist davon auszugehen, dass sie für die Kirchen erhalten bleiben sollen; abgesehen von der Bezahlung von Kirchenrepräsentanten. Nur wegen dieses letzten Punktes bekommt die AfD einen Säkularitätspunkt. Würden wir allerdings die Toleranz gegenüber Weltanschauungen bewerten, müsste die AfD bei so verheerend islamophoben Standpunkten eher Minuspunkte bekommen.

Grüne
– „Die historischen Staatsleistungen an die beiden großen christlichen Kirchen wollen wir endlich ablösen.“ (S. 121)
– „Die Kirchenfinanzen sollen transparenter werden und den aktuellen Kirchensteuereinzug wollen wir so reformieren, dass Gleichbehandlung und Datenschutz gewährleistet sind.“ (S. 121)
– § 166 Strafgesetzbuch (Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen) soll gestrichen werden. (S. 121)
– „Islamische Gemeinschaften können und sollen als Religionsgemeinschaften im Sinne des Grundgesetzes anerkannt werden, wenn sie die rechtlichen Voraussetzungen dafür erfüllen. Sie können dann auch den Körperschaftsstatus erlangen und gegenüber den Kirchen gleichberechtigt werden.“ (S. 122)
Wir finden positiv, dass die Grünen die historischen Staatsleistungen abschaffen wollen und der Gotteslästerungsparagraph auch weichen soll. Allerdings soll der Status des öffentlichen Rechts für Religionen [gemeint ist: Religionsgesellschaften] offenbar beibehalten werden. Die Grünen vergessen so wie die SPD, CDU und die FDP auch, dass sehr viele Arbeitnehmer systematisch bei religiösen Arbeitgebern diskriminiert werden. [Letzteres ist sachlich falsch, genau das vergessen sie nicht, siehe S. 128. Andererseits lehnten die Grünen eine Revision des umstrittenen „Sterbehilfe-Verhinderungsgesetzes“ vom November 2015 ab. Daher geht die Gesamtbewertung in Ordnung.] Immerhin erwähnen die Grünen die größer werdende Anzahl der Konfessionsfreien. Für uns sind das zwei Säkularisierungspunkte.

Soweit die Stellungnahme der säkularen Liberalen, die Hoffnung macht, dass sich in dieser Partei wieder mehr Leute finden, die an das immer noch vorbildliche Kirchenpapier von 1974 anknüpfen, das der FDP-Vorstand 2009 heimlich in der Schublade hat verschwinden lassen.

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